Das Festival «Musik statt Krieg» wurde in diesem Jahr zum 23. Mal auf dem «Vier Winde Hof» von Songpoet und «Friedensberichterstatter» Tino Eisbrenner organisiert (wir berichteten). Mehr als 200 Besucher sowie Musiker aus verschiedenen Ländern – darunter Deutschland, Chile, Argentinien und China – kamen zusammen, um ein Zeichen für den Frieden zu setzen. Einer von ihnen war der Akkordeonist Tobias Morgenstern, dessen Spiel nicht nur virtuos, sondern auch von einer besonderen emotionalen Dichte geprägt ist.
Transition News: Warum machen Sie beim Festival «Musik statt Krieg» mit?
Tobias Morgenstern: Naja, hier bin ich natürlich an der richtigen Stelle. Ich habe Lieder für Tino geschrieben, die er mit der Big Band aufgeführt hat. Die Premiere hatten wir in Dresden, und das hier ist jetzt ein weiterer Termin. Da komme ich gern vorbei.
Tobias Morgenstern am Akkordeon beim Festival «Musik statt Krieg» (Fotos: Tilo Gräser)
Was motiviert Sie, hier aufzutreten – geht es dabei um mehr als nur die musikalische Zusammenarbeit mit Tino Eisbrenner?
Na ja, klar. Es ist so, dass sich die Lager nach wie vor teilen. Man findet Leute mit denselben Ansichten, die die gleichen Sorgen teilen. Ich kann Tinos jüngste Unternehmungen gut nachvollziehen, da sie meiner Auffassung entsprechen, wie man sich zu gesellschaftspolitischen Dingen verhalten sollte. Insofern geht man zu den Treffpunkten, wo die Leute sind, die genauso denken.
Was kann Kunst, was kann Musik für den Frieden tun?
Kunst und Musik sind ein universelles Medium, durch das sich alle Menschen verständigen können. Es ist unabhängig von Sprache, oft auch von Kultur und Region. Besonders Musik ohne Text findet in anderen Sphären statt. Wenn man sich musikalisch mit jemandem verständigt, verbindet man sich auf einer anderen, menschlichen Ebene – eigentlich der menschlichsten, die es gibt. Ich glaube, der musikalische Austausch ist der menschlichste Ausdruck der Kommunikation. Musik war, glaube ich, schon von Anfang an da.
Aber Menschen ziehen auch mit Musik in den Krieg.
Natürlich lässt sich vieles missbrauchen, das sehen wir auch bei Technologien. Die sind nicht per se falsch, aber sie können für bestimmte Interessen genutzt werden. Klar, Soldaten haben oft Kopfhörer mit Musik drin, um sie zu motivieren. Das ist nichts Neues und dient der gleichen Absicht. Aber das wäre nicht meine Musik.
Hat Kunst eine Aufgabe? Wenn ja, welche?
Ich glaube, Kunst hat eine Aufgabe, sonst ist es nur Unterhaltung. Wenn ich mich als Künstler positionieren will, komme ich um diese Aufgabe nicht herum. Sie steht in Verbindung mit Humanismus und den Erfahrungen, die wir gemacht haben. Wenn die Grundprinzipien des gemeinsamen und friedlichen Miteinanders untergraben werden, wird es zur Aufgabe, sich mittels der Kunst zu positionieren.
Ist die aktuelle Kriegshysterie in Ihren Augen eine Fortsetzung der Dynamiken, die wir während der Corona-Politik erlebt haben? Sehen Sie Parallelen oder auch wesentliche Unterschiede?
Man hat den Eindruck, dass das alles aus demselben Impuls heraus passiert. Die Gesellschaft ist mit den aktuellen Systemen, sei es finanziell oder technologisch, überfordert. Sie versuchen mit allen Mitteln, das System am Laufen zu halten. Die Corona-Krise war für mich eines der gigantischsten und verbrecherischsten Beispiele, die das weltweit in einer solchen Komplexität vorangetrieben haben. Es sind immer ähnliche Dinge, immer die gleichen Interessen, die dahinterstecken. Diese Überlagerung von Dynamiken und Interessen wirkt wie ein nebulöses Gebilde. Sobald man versucht, es zu ergründen, zerfällt es wieder. Ich glaube schon, dass das wiederkehrende Dinge sind, ob es nun ums Klima oder Kriegstreiberei geht. Es geht darum, alles unter Kontrolle zu behalten und zu überwachen. Und es wird, glaube ich, immer drastischer.
Sie arbeiten mit Tino Eisbrenner auch mit einem gemeinsamen Puschkin-Programm gegen die Russophobie. Was haben Sie für Erfahrungen gesammelt? Wie reagieren die Menschen und Veranstalter?
Naja, teils, teils. Es gibt Veranstalter, die ganz klar sagen: «Die beiden auch noch im Doppelpack, das wollen wir nicht.» Da hat es einfach eine Verschiebung gegeben. Es gibt eine Reihe von Veranstaltern, bei denen ich nicht mehr spiele. Sie laden mich einfach nicht mehr ein. Auf der anderen Seite gibt es aber auch neue, kleine Initiativen überall im Land, die uns gerade deshalb einladen. Sie betreuen uns sehr gut, und ich fahre gerne dorthin. Im Osten ist die Situation noch etwas anders als im Westen. Das Publikum ist stark gespalten. Es gibt Leute, die völlig mit uns einig sind, andere sind zurückhaltend und unsicher, und dann gibt es noch ein paar, die es ganz anders sehen. Ich habe aber den Eindruck, dass es immer mehr Menschen gibt, die kritisch sind und sich die Mühe machen, Fragen zu stellen.
Tobias Morgenstern vor seinem Auftritt beim Festival
Musik soll Brücken bauen. Aber wie kann sie das zu den Menschen, die auf der anderen Seite stehen, die sich verweigern und Sie nicht mehr einladen? Kann Musik helfen, die Spaltung in der Gesellschaft zu überwinden?
Ja, das glaube ich schon. In der Musik muss nicht alles bis ins Detail thematisiert werden. Ich spiele ja auch mit Leuten, die nicht ganz meiner Meinung sind. Zum Beispiel mein Bassist. Er sagt: «Ich kann das total verstehen, aber ich denke anders.» Und wir spielen trotzdem so gut zusammen wie immer. Wenn es diese musikalische Verbindung nicht gäbe, würden wir uns voneinander entfernen. Aber durch die Musik haben wir weiterhin eine enge Beziehung, weil sie viel, viel stärker ist als unsere Differenzen.
Es ist nicht nur die Musik, auch andere Künste können das. Das ist der Punkt, der die Leute zusammenbringt. Insofern bin ich sehr froh, so stark in der Kunst verwurzelt zu sein. Gestern habe ich zum Beispiel mit Wenzel (Hans-Eckardt Wenzel, Liedermacher und Lyriker) in Radebeul gespielt. Obwohl ich keinen Ton sage, trage ich alles mit. Das merken die Leute, dass nicht einfach nur zwei Musiker etwas herunterdudeln, sondern dass da Engagement dabei ist.
Weil es von innen kommt?
Wenn es nicht von innen kommt, wenn der Künstler sich nicht öffnet, dann ist es nur Unterhaltung. Der große Unterschied ist, dass Kunst wirklich nur dann zur Kunst wird, wenn der Künstler in diesem Moment offen ist und sich preisgibt. Es gibt auch viele Künstler, die das nicht tun. In meinen Augen bleibt das dann nur Unterhaltung. Wir brauchen natürlich auch die Dienstleister, die Konzerte spielen. Das ist auch künstlerisch. Aber wahre Kunst beginnt, wenn du auf die Bühne gehst und etwas aussendest. Dann hast du die Chance, das Potenzial der Kunst zu nutzen.
Kommentare